Voll verkackt ist halb gewonnen (ARENA-Verlag):

4 Außenseiter, 4 kaputte Träume und nur eine Chance, alles wieder geradezubiegen. Julian, Liza, Tariq und Max haben es wortwörtlich verkackt: Die vier sind Rekordhalter im Sitzenbleiben und haben schon mehr Lehrer in den Wahnsinn getrieben, als sie zählen können. Gemeinsam wollen die vier jetzt aber zeigen, warum sie an ihrer Schule von Anfang an keine Chance hatten …

Der Plan: Sie drehen ein schonungsloses Video – derb, wütend und ein bisschen hoffnungslos. Doch ausgerechnet dabei finden sie heraus, dass auch sie noch Träume haben. Träume, für die es sich vielleicht sogar zu kämpfen lohnt.

 

Tom Limes im Interview mit kapiert.de

kapiert.de: Hallo Herr Limes, oder wollen wir du sagen? Wir haben uns ja auf der letzten Frankfurter Buchmesse kennengelernt. Ihr neuer Jugendroman Voll verkackt ist halbgewonnen steht in den Startlöchern und erscheint am 18. Juni – freuen Sie sich schon? Und sind Sie schon ordentlich im Stress aufgrund des bevorstehenden Erscheinungstermins?

Tom Limes: Hallo Sylke, ich freue mich sehr, dass der Erscheinungstermin naht und kann es kaum erwarten, denn ich bin total gespannt auf die Reaktionen der Leser. Damit möglichst viele Voll verkackt ist halb gewonnen lesen, klopfe ich natürlich gerade an viele Türen. Das ist zwar teilweise auch stressig, aber schön stressig.

kapiert.de: Auf deiner Webseite habe ich gelesen, dass du seit über 20 Jahren mit Kindern und Jugendlichen arbeitest – „schulfrustgeplagten“! So ein Zufall, in deinem neuen Buch geht es um Schülerinnen und Schüler und ihre Probleme – rechnest du hier mit unserem Bildungssystem ab? Was stört dich am meisten an unserem Schulsystem?

Tom Limes: Es war ein Herzensprojekt und ich bin froh, dass der Arena-Verlag direkt zugeschlagen hat. Meine Hauptmotivation beim Schreiben war, zu zeigen, was es mit jungen Menschen macht, wenn sie schon ganz früh in ihrem Leben als nicht passend oder gar nutzlos abgestempelt werden. Ungefähr 50.000 solcher Jugendlicher verlassen in Deutschland jedes Jahr die Schule ohne einen Abschluss. Viele solcher miesen Lebensläufe ließen sich verhindern, wenn unser Bildungssystem finanziell und personell besser ausgestattet wäre und grundlegend reformiert würde. Schauen wir allein den Grundschulbereich an: Aufgrund des Lehrermangels werden zunehmend Kräfte eingesetzt, die überhaupt keine Ausbildung im Primarbereich haben. Zudem werden auch die ausgebildeten Lehrkräfte massenweise in Bereichen eingesetzt, die sie eigentlich nicht gut beherrschen. Ein super Mathelehrer quält so sich und seine Schüler durch Deutsch und ein begnadeter Lese-Rechtschreibprofi scheitert mit seinen Schülern an der Basismathematik. Das ist eine ziemliche Folter für Lehrkräfte und Schüler und führt nicht selten dazu, dass Basisfertigkeiten nicht richtig vermittelt werden oder Lernschwierigkeiten bei Schülern nicht erkannt und behoben werden können und Lehrer verzweifeln. So kann es kommen, dass selbst die begabtesten Schüler keine Chance mehr haben. Ich könnte noch viele weitere Punkte aufzählen, die mich am Schulsystem stören, aber unterhaltsamer wird es sein, in meinem Buch drauf zu stoßen.

kapiert.de: Die vier Protagonisten sind Julian, Liza, Tariq und Max, die sich in einer Qualifizierungsmaßnahme kennenlernen. Sie haben nur eines gemeinsam: diese Maßnahme ist ihre letzte Chance auf einen Abschluss. Liza und Julian sind die Hauptfiguren. Liza hat Tourette und Julian Dyskalkulie. Warum stehen diese Beiden gerade im Fokus deiner Geschichte? Sind das Themen, die deiner Meinung nach auf zu wenig Toleranz stoßen?

Tom Limes: Mit Liza und Julian habe ich mich für zwei Protagonisten entschieden, die ganz unterschiedliche Auslöser – nämlich einen gesundheitlichen und einen eher fachlichen – für ihr schulisches Scheitern haben. Letztendlich hätten die beiden aber auch ganz andere Einschränkungen haben können, denn sobald du zu sehr von der Norm abweichst, gibt es einen Haufen intoleranter Idioten, die dich ausgrenzen oder loswerden wollen. Dass eine meiner beiden Hauptfiguren an einer Dyskalkulie leidet, ist allerdings kein echter Zufall, denn ich arbeite seit über zwanzig Jahren vorrangig mit rechenschwachen Menschen und erlebe tagtäglich ihre Qualen, aber auch ihre Erfolge.

kapiert.de: Dann ist da noch Tariq, der es schwer hat, nicht nur seinen Berufswunsch gegenüber seinem Vater durchzusetzen. Und schließlich der hochbegabte Max, der immer mit dem Vorurteil seiner Herkunft konfrontiert wird. Wie ermutigt man Jugendliche, solche Fesseln zu sprengen, um ihren eigenen Weg zu finden?

Tom Limes: Vorbilder zum Nacheifern und Profis, die sie auf dem eher steinigen Weg begleiten und eine Gesellschaft, die sie wohlwollend und unvoreingenommen aufnimmt. Pisa zeigt wie wenig durchlässig unser Schulsystem ist, wenngleich es auch viele sehr gute Chancen beinhaltet.

kapiert.de: Für viele in der Gesellschaft - Schule, Eltern, Lehrer- sind die vier Hauptfiguren die klassischen „Versager und Außenseitertypen“. Aber selbst wenn im Hintergrund eine liebevolle und verständnisvolle Hippie-Familie wie bei Liza steht, haben deine Hauptfiguren - wie die meisten Jugendlichen ja auch - noch ihre eigenen Ängste, Zweifel und Sorgen. In einem Schulprojekt, einem Video, wollen die vier zeigen, warum sie in der Schule von Anfang an keine Chance hatten. Hier spielen natürlich auch Lehrer eine Rolle. Gibt es ein Negativ-Beispiel aus deiner Schulzeit?

Tom Limes: Ich habe neben sehr genialen Lehrern auch reichlich viele üble Lehrer erlebt, angefangen mit der Grundschullehrerin, die nicht passende Kinder vor versammelter Mannschaft niedermachte und die Klasse dazu aufforderte, den schlechten Schüler auszulachen und auszubuhen. Die fand es auch passend, mich massiv ins Abseits zu stellen, als ich mal ein paar Wochen lang nicht richtig funktionierte. Ab der fünften Klasse besuchte ich dann ein Gymnasium, das von einer unnahbaren Diktatorin geleitet wurde. In dieser Schule hieß es anpassen, wegducken, Klappe halten. Ein Ohrring und ein paar bunte Haare kosteten mich dort fast die Versetzung. In meinen Büchern tauchen ein paar gruselige Lehrergestalten auf und da gibt es immer wieder auch mal Diskussionen mit meiner Lektorin in Sachen Übertreibung. Ich rudere teils zurück, wenngleich natürlich eigentlich alles nichts als die Wahrheit ist ... Ich habe aber auch gemerkt, wie viel Gutes ein liberales wertschätzendes Schulklima hat, als ich während der Oberstufenzeit auf ein anderes Gymnasium flüchtete. Dort habe ich auch meine besten Lehrer kennengelernt.

kapiert.de: Was macht einen guten Lehrer aus?

Tom Limes: Für mich waren gute Lehrer immer die, bei denen ich wirklich etwas lernen konnte, die für ihr Thema brannten, denen es aber auch wichtig war, dass die Schüler es verstehen konnten.  Die aber dennoch auch locker genug waren, zu akzeptieren, dass wir Schüler auch andere Interessen im Leben hatten und vor allem auch verstanden haben, dass wir nicht ihre Kumpels waren, sondern ihre Schüler. Natürlich schließt das auf keinen Fall ein herzliches Miteinander aus. Aber es war immer so eine Mischung aus Ernsthaftigkeit, leichter Strenge, Konsequenz, Begeisterungsfähigkeit, Humor und Wärme.

kapiert.de: In dem Video geht es um Zukunftsträume und warum es manchmal so schwer ist, diese zu verwirklichen. Was wolltest du früher werden? Was hat dich davon abgehalten? Und würdest du für deinen Traum deine jetzige Jugendarbeit aufgeben?

Tom Limes: Sehr lange Zeit wollte ich Stadtkind Landwirt werden. Meine Allergien und die Sorge davor, nie mehr Urlaub machen zu können, haben mich letztendlich davon abgebracht, als ich sechzehn Jahre alt war. Seitdem habe ich mich immer nach dem ausgerichtet, wohin es mich zog und dafür einige recht sichere Karriereoptionen sausen lassen. So lebe ich in dem Luxus, meist ziemlich viel von dem tun zu können, was mir Spaß macht. Vor ein paar Wochen hatte ich ein Lottterielos geschenkt bekommen, stand also ganz kurz davor, verdammt vermögend zu werden. Da habe ich natürlich direkt überlegt, was würde ich machen, wenn sich bald die Millionen bei mir stapeln. Meine Antwort: Jugendarbeit und Bücher schreiben. Allerdings alles ein bisschen entspannter. Gegenüber meinen Protagonisten habe ich aber einen entscheidenden Vorteil: Ich habe einen Abschluss und kann mich deshalb bei Bedarf immer wieder recht gut neu erfinden. Wer diese Voraussetzung nicht hat, hat zwar dennoch meist mehr Chancen, als man denkt, aber es ist deutlich schwieriger.

kapiert.de: Vielen Dank für den vorzeitigen Einblick in das Buch – ein interessanter Querschnitt durch sämtliche Schichten unserer Gesellschaft, ein realistisches Abbild der heutigen Jugend, ihren ganz unterschiedlichen Alltagsproblemen, Nöten, Ängsten – ganz ohne Klischees. Man merkt, dass dir Kinder und Jugendliche am Herzen liegen. Was ist das Fazit deines Buches? Immer erstmal hinter die Fassade blicken? Träume nicht aufgeben? Ist Freundschaft der Schlüssel für eine glückliche Jugend?

Tom Limes: Ich denke, wer keine guten Freunde hat, ist definitiv arm dran und sollte den Mut haben, nach denen zu suchen, die passend sind und die einem gut tun. Und mit der Fassade, das ist so eine Sache. In meinen Augen ist sie nichts anderes, als das Symptom aller erlebten Dinge und Wünsche. Es macht viel Sinn, Menschen nicht aufgrund des ersten Eindrucks unveränderbar einzuordnen, sondern lieber genauer hinzuschauen. Oft lohnt sich das.

kapiert.de: Vielen Dank für die Zeit und das Interview. Gehst du jetzt auf Lesereise? Wo trifft man dich als Nächstes?

Tom Limes: Für den 26.6. ist mit dem Arena-Verlag eine Online-Lesung mit Fragerunde geplant. Und wer auf dem Laufenden bleiben möchte, sollte mir am besten auf Instagram oder Facebook folgen. So ganz konkrete Pläne gibt es im Moment noch nicht, aber das kann sich bald ändern. Und dann gibt es da ja auch noch so eine Idee für das nächste Buch, die allmählich immer drängender und konkreter wird. Aber nun bin ich erst einmal sehr  gespannt auf die Feedbacks zum neuen Buch und freue mich auch auf die ersten Lesungsanfragen.

Leseprobe: Voll verkackt ist halb gewonnen

Hier wird kräftig mit Klischees aufgeräumt:

1) An Tourette zu leiden (Liza) bedeutet nicht, nur ständig mit Schimpfwörtern um sich zu werfen.

2) Muskeltypen mit dunkler Haut wollen nicht zwangsläufig Gangsta-Rapper werden.

3) Jemand, der schlechte Noten schreibt, ist nicht gleich dumm, sondern manchmal einfach unterfordert.

4) Das Zahlengenie in einer Gruppe ist nicht immer ein Junge.

Über Tom Limes

Tom Limes arbeitet seit über zwanzig Jahren mit schulfrustgeplagten Kindern und Jugendlichen. Vielleicht ist auch das ein Grund dafür, dass er bis heute nicht seine Lust an Blödsinn und Spinnereien verloren hat. Die Idee zu seinem ersten Jugendroman „Tick Tack Fuck" kam ihm bei einem Live-Konzert in einem völlig überfüllten kleinen Club. Er lebt mit seiner Frau und zwei Töchtern in Köln.

Foto: Dorina Köbele-Milaş

www.tom-limes.de

Tom Limes: Voll verkackt ist halb gewonnen im ARENA Verlag 

Ab 14 Jahren • ca. 256 Seiten

ET: 18. Juni 2019
ISBN: 978-3-401-60463-3 12 €