David benötigt Nachhilfe. David ist 12 Jahre alt und hat keinen Bock, Englisch zu lernen. David versteht nicht, was es ihm später bringen soll, wenn er eine englische Bildergeschichte zu Robin Hood unter Verwendung der richtigen Zeitformen und anschaulicher Vokabeln schreiben kann.

Ich bin 23 Jahre alt und versuche verzweifelt, englische Grammatikregeln in Davids Kopf zu hämmern. Ich bin nämlich Davids Nachhilfelehrerin. Ich gebe mehreren Kindern Nachhilfe und bei manchen ist es einfacher, bei manchen weniger. Okay, seien wir ehrlich, bei den meisten ist es nicht einfach.

David ist ein ganz besonders harter Brocken, denn anstatt seine Energie während der Nachhilfestunde darauf zu verwenden, sich zu konzentrieren und Aufgaben zu lösen, setzt er sie dazu ein, mich möglichst unauffällig und elegant davon abzulenken, dass ich eigentlich versuche, ihm etwas beizubringen.

Das geht schon los, wenn ich das Wohnzimmer betrete und die Nachhilfe beginnt. Erst einmal bietet er mir ganz höflich etwas zu trinken an. So weit, so gut; ich freue mich natürlich, wenn ich einen Kaffee bekomme. Aber dann, ja dann beginnt die Verzögerungstaktik: „Möchtest du vielleicht etwas essen? Wir haben super leckere Kekse von Ikea da! Und Schokolade. Ich kann dir auch ein Sandwich machen, wenn du willst. Ich hab´ sowieso Hunger. Ich schmier´ mir schnell ein Brot. Oh je, die Apfelschorle ist alle, ich hol´ mal schnell eine neue Flasche…“.

Am Anfang habe ich es ihm durchgehen lassen, weil ich noch nicht wusste, dass das seine Masche ist. Mittlerweile stoppe ich ihn. Ich erlaube ihm natürlich, sich etwas zu trinken zu nehmen, aber nicht, nebenbei zu essen. Ich habe ihm klargemacht, dass er das vor der Nachhilfe machen muss. Ich werde ja nicht dafür bezahlt, ihm beim Essen zuzusehen.

Wenn er mit dieser Taktik fertig ist, kommt die nächste Masche. Denn natürlich hat er seine Englisch-Sachen noch nicht vorbereitet. Also läuft er nun minutenlang durchs Haus auf der Suche nach einem Block, Stiften, dem Englischbuch, dem Arbeitsheft, usw. usw. Logisch kann es mal passieren, dass man vergisst, seine Sachen vorzubereiten. Deshalb habe ich am Anfang auch dazu nichts gesagt. Als ich dann aber begriffen habe, dass er einfach nur versucht, Zeit zu schinden, habe ich ihm deutlich gesagt, dass er alles, was er braucht, vorbereiten muss, bevor ich zu ihm komme.

Wenn es dann endlich so weit ist, dass er es tatsächlich geschafft hat, sich an den Tisch zu setzen und das Englischbuch aufzuschlagen, beginnt die verbale Verzögerungsstrategie: Ablenkung durch Fragen, die ganz subtil immer weiter vom Thema wegführen. Ich muss zugeben, dass David das sehr geschickt anstellt. Manchmal falle ich darauf herein und ertappe mich dabei, wie ich ihm plötzlich etwas erzähle, das mit Adverbien oder dem „simple past“ nicht das Geringste zu tun hat. In solchen Momenten merkt man auch, wie clever David eigentlich ist.

Wenn er diese ganzen Bemühungen nicht in die Zeitschinderei, sondern einfach ins Lernen stecken würde, wären wir in Nullkommanichts mit dem Stoff durch. Aber nein, Englisch ist ja blöd und sinnlos.

Mein Hauptproblem bestand also darin, dass ich versuchen musste, David zum mehr oder weniger freiwilligen Englischlernen zu motivieren. Um das zu erreichen, bemühte ich mich herauszufinden, wofür er sich interessiert und womit er sich in seiner Freizeit beschäftigt. Da er mir sehr viel von sich erzählte, um von den Hausaufgaben abzulenken, war das auch nicht besonders schwierig. David spielt gerne Minecraft am PC und beschäftigt sich im Allgemeinen viel mit Computern und Technik. Auch das Drehen von Videos macht ihm Spaß. Et voilà: Hiermit hatte ich auch schon meine Anknüpfungspunkte für die Nachhilfe.

Bei der Arbeit mit Technik und Computern im Besonderen wird hauptsächlich mit englischen Begriffen gearbeitet. So werden z. B. im Spiel Minecraft diverse englische Wörter verwendet, sodass Englischkenntnisse auf jeden Fall von Vorteil sind. Wenn man, so wie David, später mal in der IT-Branche arbeiten will, sind sie unerlässlich. Darüber sprach ich mit David und es leuchtete ihm ein. Ihm wurde tatsächlich klar, dass Englisch nicht so sinnlos ist, wie er sich einreden wollte. Er fing sogar an, sich YouTube-Videos auf Englisch anzusehen. Das ist sowieso eine der besten Möglichkeiten, sich mit Sprachen zu beschäftigen, denn erstens kann man Muttersprachlern zuhören, zweitens seinen Wortschatz in einem bestimmten Kontext erweitern und drittens hat man dabei auch gleich die praktische Anwendung der Sprache vor Augen.

Das ist bei Schülern wie David besonders wichtig, da sie sonst eben keinerlei Vorstellung davon haben, wozu eine fremde Sprache gut sein soll. Ich war sehr erleichtert, dass ich David dabei unterstützen konnte, sich zum Englischlernen zu motivieren. Sein Lieblingsfach wird es wohl nie werden, aber immerhin ist er nun bereit, sich mehr auf das Englischbuch und die Nachhilfe und weniger auf Ikea-Kekse und Sandwiches zu konzentrieren.

Tipps für Eltern – Worauf Sie achten sollten, wenn Sie private Nachhilfe in Anspruch nehmen:

  • Sorgen Sie dafür, dass Ihr Kind alle Materialien, die es für den Nachhilfeunterricht braucht, bereits parat hat, wenn der Nachhilfelehrer kommt.
  • Bereiten Sie etwas zu trinken für Ihr Kind und den Nachhilfelehrer vor, aber vermeiden Sie, dass das Kind während der Nachhilfestunde isst. Das sollte vorher geschehen, denn das Kind sollte während des Unterrichts auch nicht hungrig sein.
  • Machen Sie Ihrem Kind klar, dass es die Zeit mit dem Nachhilfelehrer effektiv dazu nutzen kann, alle Fragen, die es im Schulunterricht nicht stellen konnte oder wollte zu besprechen und Aufgaben gezielt mit individueller und persönlicher Unterstützung zu bearbeiten. Danach kann es sich seiner Freizeit widmen.
  • Achten Sie darauf, ob Ihr Kind sich gut mit dem Nachhilfelehrer versteht. Es ist wichtig, dass das Kind den Nachhilfelehrer akzeptiert und mag, damit es auch die angebotene Hilfe annimmt. Es macht keinen Sinn, jemanden einzustellen, der zwar sehr kompetent in dem entsprechenden Fach ist, aber keinen Draht zu Ihrem Kind hat. In der Schule muss sich das Kind schon genug mit Lehrern herumärgern, die es sich nicht aussuchen kann. Das sollte in der Nachhilfe anders sein.

Lernhilfen wie Zeitpläne, Checklisten oder MindMap-Vorlagen gibt es unter www.kapiert.de/downloads.