Das Gehirn verstehen – damit Prüfungsangst keine Chance mehr hat!

Tom ist traurig. Bei der Mathearbeit heute konnte er sein Wissen wieder nicht abrufen. Er versteht das nicht. Zuhause hat er doch fleißig geübt und da konnte er auch alles. Er war sich so sicher, dass die Arbeit klappt. Aber dann kam dieses komische Gefühl, er bekam schwitzige Hände und Bauchschmerzen und alles war auf einmal weg. Er konnte sich nicht mehr an die Rechenwege erinnern. Das hat er schon bei der ersten Aufgabe gemerkt, sofort kam der Gedanke „Ich kann das nicht!“ und dann ging fast gar nichts mehr.

So geht es vielen Schülern. Sie leiden unter sog. „Prüfungsangst“!

Prüfungsangst kann sich ganz unterschiedlich zeigen:

  • Schwitzige und/oder zittrige Hände
  • Zittern am ganzen Körper
  • Bauch- oder Kopfschmerzen
  • Ein Druckgefühl in der Brust
  • Negative Gedanken, wie: „Hoffentlich versau ich heute nicht wieder die Arbeit!“ oder „Ich kann das bestimmt nicht!“, „Ich bin so aufgeregt!“.

Manche sagen, dass sie eine gewisse Anspannung brauchen, weil sie sich dann besser konzentrieren können. Das mag vielleicht so sein.
Doch bei vielen ist die Prüfungsangst so groß, dass sie während der Arbeit nicht mehr denken können, dass sie ihr Wissen nicht abrufen können, obwohl sie zu Hause alles wussten. Doch während der Arbeit haben sie einen sogenannten „Blackout“! Da ist diese Leere im Kopf, es geht nichts mehr!

Prüfungsangst ist Stress für das Gehirn

Doch woher kommt das? Was passiert im Gehirn? Betrachten Sie doch einmal das Gehirn etwas näher.

Ganz unten ist das Stammhirn (gelber Bereich). Es wird auch Fischhirn genannt und ist unsere Technikzentrale. Hier sind die Atmung und der Stoffwechsel beheimatet, also die lebensnotwendigen Dinge.

Der grüne Bereich darüber zeigt das Reptiliengehirn. Dieses Teil vom Gehirn ist den Reptilien gleich. Hier befindet sich der Überlebenstrieb.

Im orangen Bereich sieht man das Säugetiergehirn mit dem Limbischen System – die Schaltzentrale unserer Gefühle. Hier wird alles gespeichert, was der Mensch erlebt und gelernt hat und hier entstehen auch Gefühle und Emotionen.

Und über allem befindet sich der Neocortex (blauer Bereich), das so genannte Menschliche Gehirn. Hier findet das bewusste Denken, Planen und Ausführen statt.

Das Zitronen-Experiment

Lesen Sie sich die nachfolgende Übung durch und stellen sich das anschließend einmal in Gedanken vor:

Stellen Sie sich eine Obstschale vor, die auf Ihrem Esstisch steht. In dieser Schale liegen Äpfel, Birnen, Bananen und eine schöne gelbe, saftig aussehende Zitrone. Sie nehmen diese gelbe saure Zitrone in die Hand. Spüren Sie die raue Schale, wie sie sich in Ihrer Hand anfühlt. Riechen sie an der Zitrone. Stellen Sie sich nun vor, wie Sie ein Messer in die Hand nehmen und die Zitrone in zwei Hälften schneiden. Hören Sie das Geräusch, das beim Schneiden entsteht und stellen Sie sich vor, wie der saure Zitronensaft herausläuft. Führen Sie nun die Zitronenhälfte an Ihren Mund. Lecken Sie nun mit Ihrer Zunge daran und spüren den sauren Geschmack im Mund. Beißen Sie jetzt einmal so richtig in das Zitronenfleisch hinein. Oh, das Wasser läuft Ihnen im Mund zusammen und Sie schütteln sich. Kommen Sie nun wieder zurück ins Hier und Jetzt.

Was passiert im Gehirn?

Schon allein beim Gedanken an die Zitrone ist Ihnen wahrscheinlich das Wasser im Mund zusammengelaufen. Es gab eine vermehrte Speichelbildung, vielleicht haben Sie sich sogar geschüttelt. Merkwürdig, oder? Sie hatten doch überhaupt keine richtige Zitrone da und doch hat Ihr Körper reagiert.

Bestimmt haben Sie schon einmal eine Zitrone probiert. Sie wissen also, wie sie schmeckt: sauer. Und irgendwann haben Sie einer Zitrone eine Bewertung gegeben. Entweder die Zitrone war Ihnen zu sauer und schmeckte nicht, dann kommen Gedanken: „Eine Zitrone ist sauer, schmeckt mir nicht, da schüttelt es mich, den Geschmack einer Zitrone finde ich eklig!“

Anders ist es, wenn Sie den Geschmack einer Zitrone toll fanden, dann kommen Gedanken wie: "Ich liebe Zitronen, die sind so schön sauer, die schmecken mir!“ Das geht natürlich so schnell, dass Sie davon nichts mitbekommen. Ihr Limbisches System reagiert innerhalb einer 3tausendstel Sekunde. Je nachdem, welche Bewertung Sie der Zitrone einmal gegeben haben, schickt es die Botschaft an das Reptiliengehirn, über bestimmte Drüsen Hormone auszuschütten.

Entstehen positive Gefühle und Gedanken, werden „Glückshormone“ Endorphine und Serotonin ausgeschüttet und oben im Neocortex kommen gute und positive Gefühle an und es geht Ihnen gut. Entstehen allerdings negative Gefühle und Gedanken, weil negativ bewertet wurde, werden „Stresshormone“ ausgeschüttet und dem Cortex wird die Energie entzogen, es geht Ihnen nicht gut. Es ist so, dass Ihr Gehirn im ersten Moment nicht unterscheiden kann, ob Sie tatsächlich in eine Zitrone beißen oder ob das in Ihrer Fantasie geschieht. Ihr Gehirn produziert Speichel.
Jetzt war das ja nur eine „Zitrone“. Aber Sie haben gesehen, Ihr Gehirn reagiert. Sie sehen also, es ist alles gespeichert und hat Einfluss auf Ihr Bewusstsein.

Das passiert bei Prüfungsangst

Und genauso verhält es sich auch bei Prüfungsangst. Ihr Kind war sicherlich schon einmal in der Situation, dass es aufgeregt war, dass es Angst bekam, während einer Arbeit, dass es sein Wissen nicht abrufen konnte. Jetzt stellen Sie sich mal vor, Ihr Kind denkt vor oder während einer Arbeit oder Prüfung „Hoffentlich kann ich das!“, „Ich kann das Thema bestimmt nicht!“, „Ich schreib bestimmt wieder eine 5!“, „Arbeiten schreiben ist doof! Ich bin ja immer so aufgeregt!“, „Ich habe Angst vor der Arbeit!“, „Ich falle bestimmt wieder durch!“.
Was denken Sie passiert? Ihr Kind bekommt Angst, Panik, Stress. Es zittert, reagiert mit Kopf- oder Bauchschmerzen, schwitzt, hat Herzklopfen. Es braucht nur an die Arbeit zu denken und schon ist das Reptiliengehirn in Alarmbereitschaft und befiehlt „Flucht“. Wie zuvor erwähnt, ist das Reptiliengehirn zuständig für den Überlebenstrieb.
Und gehen wir mal zurück in die Zeit, wo wir Urmenschen waren, als der Mensch aus seiner Höhle herausging, um Nahrung zu sammeln und plötzlich der Säbelzahntiger um die Ecke kam. Das Gehirn signalisiert sofort Alarmbereitschaft - Kampf oder Flucht!

Und bei Prüfungsangst reagiert das Gehirn noch genauso wie damals. Es weiß in dem Moment nicht, dass es „nur“ eine Arbeit oder eine Prüfung ist. Prüfungsangst hat also mit den Gedanken Ihres Kindes und mit seiner negativen Erwartungshaltung zu tun.

Darum ist es wichtig, dass sich im Limbischen System keine negativen Gedanken und Gefühle ausgebreitet haben.

Wie Sie Ihrem Kind bei Prüfungsangst helfen können

Hier sind ein paar Tipps, wie Sie Ihrem Kind helfen können, gegen die Prüfungsangst anzugehen:

  • Es ist sehr wichtig, dass Sie Ihr Kind ernst nehmen. Tun Sie die Ängste ihres Kindes nicht einfach ab. Zeigen Sie Verständnis und schimpfen Sie nicht, wenn eine Arbeit schlecht ausgefallen ist. Sprechen Sie mit Ihrem Kind, um herauszufinden, woran es gelegen hat. Fragen Sie nach Gedanken und Ängsten und welche körperlichen Symptome es spürt. Ihr Kind fühlt sich dadurch besser verstanden und ernst genommen.
  • Erklären Sie Ihrem Kind, dass möglicherweise seine eigenen Gedanken die Prüfungsangst verursachen. Sätze, wie: „Ich kann das nicht!“, „Ich schaffe das nicht!“, „Ich schreibe bestimmt wieder eine schlechte Note!“, sind nicht hilfreich. Machen Sie die Zitronenübung mit Ihrem Kind. So kann Ihr Kind selbst erleben, was in seinem Gehirn passiert.
  • Finden Sie heraus, welche negativen Gedanken Ihr Kind hat. Die negativen Sätze wandeln Sie dann gemeinsam um in positive und stärkende Sätze. Schreiben Sie diese Sätze auf kleine Kärtchen und lassen Sie Ihr Kind jeden Tag diese positiven Sätze sagen. Je öfter das Gehirn Ihres Kindes das wahrnimmt, desto schneller wird es gelingen, bei einer Arbeit oder Prüfung ruhig und gelassen zu sein. Das können Sätze sein, wie: "Ich schaffe das und bin ganz ruhig!", "Bin super vorbereitet und weiß, dass ich das kann!", "Ich kann mich gut konzentrieren!".
  • Atemübungen haben sich sehr bewährt. Üben Sie mit Ihrem Kind die Bauchatmung. Hier kommt das Gehirn in einen entspannten Zustand und das Stressgefühl reduziert sich. Hierfür soll Ihr Kind sich auf einen Stuhl setzen, die Augen schließen und seine Hände auf den Bauch legen. Nun bitten Sie Ihr Kind, tief in den Bauch zu atmen, sodass sich der Bauch beim Einatmen wölbt und beim Ausatmen wieder senkt. Ihr Kind spürt die Atembewegung auch über seine Hände. Achten Sie darauf, dass Ihr Kind langsam ein- und ausatmet und nach der Ausatmung eine kleine Pause macht, bevor es wieder einatmet. Beim Ausatmen soll Ihr Kind denken: "Ich bin gaaaanz ruhig!". Die Meisten, sowohl Kinder als auch Erwachsene, atmen sehr flach, also nur in den Brustkorb. Das passiert vor allem bei Stress. Tiefe Bauchatmung allerdings wirkt dem Stress entgegen. Hat Ihr Kind das ein paar Mal geübt und verinnerlicht, dann kann es sich selbst in einen ruhigen und entspannten Zustand bringen.
  • Um den Stress vor einer Arbeit herauszunehmen, sollte Ihr Kind rechtzeitig mit dem Lernen anfangen. So kommt es nicht in Zeitnot. Machen Sie einen Plan. Erklären Sie Ihrem Kind, dass das Gehirn besser in kleinen Häppchen lernt, dass es die Wiederholung liebt und auch braucht, um das Gelernte besser und langfristig abzuspeichern.
  • Achten Sie darauf, dass Ihr Kind genügend Pausen beim Lernen macht. Kinder können sich nicht lange konzentieren. Eine Rechenformel lautet: Alter mal zwei, dass heißt bei einem zehnjährigen Kind, dass es zwanzig Minuten am Stück lernen kann. Danach ist es ratsam eine Pause zu machen, indem sich Ihr Kind bewegt, mal kurz auf das Trampolin geht, frische Luft schnappt oder ausruht.

Wenn Sie diese Tipps mit Ihrem Kind immer wieder umsetzen, dann hat Prüfungsangst keine Chance!

 

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