Worauf Eltern und Lehrkräfte im Umgang mit Kindern und Jugendlichen achten sollten

Svenjas Mutter ist nervös. Ihre Tochter bringt zunehmend schlechte Leistungen mit nach Hause. Was soll sie unternehmen? Wie viel Förderung tut ihr noch gut? Noahs Eltern hingegen wundern sich darüber, dass ihr Sohn nur noch vor dem Computer hängt und in virtuelle Welten abtaucht. Warum geht er nicht in den „echten“ Kontakt?

Jugend heute

Eltern zu sein heißt in der heutigen Zeit, sich vielen Herausforderungen zu stellen. Einerseits ist das Lebensumfeld heutiger Kinder und Jugendlicher deutlich komplexer geworden, andererseits gibt es immer weniger Personen, die sich wirklich mit ihnen als Individuum befassen. Gute Leistungen etwa gehören zum Portfolio der „guten Familie“ – doch was bedeutet es, wenn ein Kind diese nicht erfüllt, erfüllen kann? Wer ist es, der die Erwartungen an Kinder und Jugendliche von heute stellt?

Kinder und Jugendliche wachsen heutzutage in völlig heterogenen Familienkonstellationen auf, sie zeigen ein differenziertes Freizeitverhalten auf und verbringen diese freie Zeit auch gerne mit Freunden.

Auch wenn Kinder und Jugendliche heute auf vielen Wegen zu Schulabschlüssen kommen können, zeigt die 3. World Vision Kinderstudie aus dem Jahr 2013, dass diese auch unter bedeutsamen Ängsten leiden. 42 % der befragten Kinder und Jugendlichen nannten „Schlechte Schulnoten“ als Grund für ihre Ängste. Weitere Sorgen äußerten sie beispielweise folgendermaßen: 34 % befürchteten, bedroht oder geschlagen zu werden oder auch 26 % hatten Sorge davor, dass ihre Eltern arbeitslos würden.

Wie begegnen Eltern und Schule den Ängsten der Kinder und Jugendlichen von heute?

Authentisch sein

Michael Schulte-Markwort, Leiter der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie des Universitätsklinikums Eppendorf findet dafür eine schlichte, aber greifende Regel: Authentitzität.

Dies ist sein Prinzip während der Gespräche, die er mit Kindern, Jugendlichen und ihren Eltern führt. Und genau diese Authentizität sollten Eltern und Lehrkräfte Kindern und Jugendlichen von heute zuteil werden lassen. Authentisch zu sein heißt hier, eine eigene Haltung zu entwickeln und diese spürbar, erfahrbar werden zu lassen. Es heißt aber auch, sich auf das Kind oder den bzw. die Jugendliche/n gegenüber einzulassen. Welche Bedürfnisse hat er oder sie? Womit und wie möchten diese Kinder und Jugendlichen wahrgenommen werden? Pflegen Sie einen Dialog auf Augenhöhe mit den Kindern und Jugendlichen – sowohl im Elternhaus als auch in der Schule.

Ein fürsorglicher Blick

Schulte-Markwort rät, einen wohlwollenden und fürsorglichen, genauen Blick auf die einem anvertrauten Individuen zu entwickeln. Das Leben mit Kindern und Jugendlichen vergleicht er mit einer „Wildwasserfahrt“, einem Weg, auf dem man auch zu keinem Zeitpunkt weiß, was hinter der nächsten Ecke wartet. Sprich: Das Leben mit Kindern und Jugendlichen ist nicht in messbaren Daten zu fassen – sondern es muss gelebt werden, Tag für Tag. Zu diesem Leben gehören Höhepunkte dazu – genauso wie die Niederlagen, die man am besten gemeinsam meistern kann. Zur Erziehungsaufgabe der Eltern und Lehrkräfte gehört es hier ebenso, dass an gegebenen Stellen Grenzen gezielt gesetzt werden und auch Freiheiten gelassen werden.

Verbindung schaffen

Der Professor für Allgemeine und Theoretische Soziologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Hartmut Rosa, plädiert dafür, Jugendlichen Räume zu schaffen, in denen diese eine Resonanz erfahren können zwischen sich selbst und ihrer Umwelt. So entsteht eine Verbindung zwischen dem Individuum und seinem Umfeld, den Inhalten und auch den Menschen.

Dabei kommt der Schule eine besondere Verantwortung zu. Auch hier gilt es, den Schülerinnen und Schülern Resonanzerfahrungen zu ermöglichen. Denn – so betont der Hamburger Journalist und Filmemacher Reinhard Kahl: „Isoliertes Wissen ohne Verbindung mit der Fähigkeit, etwas zu generieren, ist nicht wirksam. Schülerinnen und Schüler haben Freude daran, selbstwirksam zu werden.“

Und auch die Familie kann etwa durch ein aufmerksames Interesse am Kind und Jugendlichen Resonanz erfahrbar machen – beispielsweise durch das Wahrnehmen gemeinsamer Erlebnisse (Klettern, Kochen, Malen und auch Musizieren), das Einlassen auf politische Gespräche mit dem Jugendlichen – und auch durch ein bewusstes Einlassen auf die Medienwelt des eigenen Kindes sowie eine aktive Auseinandersetzung im Umgang mit dieser.

Kurzum: Kinder und Jugendliche von heute sind – wie die Generationen vor ihnen – angewiesen auf ein offenes und fürsorgliches Sich-Einlassen mit ihnen als Individuen und ihren Welten. Dass dies nicht immer zu einem Spaziergang wird, sondern auch ein beschwerlicher Weg sein kann, schildert Schulte-Markwort am Ende seines Buches mit den folgenden Worten:

„Eine Art von Expedition bleibt es, mit Kindern in diese Welt zu gehen. Eine Expedition, die unvergleichlich ist, fordernd und fördernd, vertraut und ungewohnt, neu, manchmal gefährlich, aber immer spannend und herausfordernd. Vertrauen sie sich – und Ihren Kindern.“

 

Quellen und Literatur:

Kahl, Reinhard. „Neue Impulse für das ganztägige Lernen“ – Vortrag im Rahmen der 3. Schulleiterklausurtagung der Bildungslandschaft Heidekreis am 08.03.2016

Rosa, Hartmut. Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung. Suhrkamp Verlag. 2016

Schulte-Markwort, Michael. SuperKids. Warum der Erziehungsehrgeiz unsere Familien unglücklich macht. Pattloch. 2016

World Vision Deutschland e.V. (Hrsg.). „Wie gerecht ist unsere Welt?“. Kinder in Deutschland 2013. 3. World Vision Kinderstudie. Sabine Andresen, Klaus Hurrelmann. TNS Infratest Sozialforschung. Beltz. 2013